Nur dünn ist schön
Interview mit Sarah Constanze Kaiser
Möchtest Du kurz etwas über Dich sagen?
Ich bin Sarah, Mama einer siebenjährigen Tochter, 30 Jahre jung und wohnhaft in Karlsruhe.
Bist Du schon mal Opfer von Diskriminierung geworden?
Ja, Mobbing. Seit klein an immer wieder. Angriffsfläche bot vor allem meine Figur. Als ich mich mit einer Crash Diät auf Normalgewicht gehungert hatte, hörte es dennoch nicht auf. Wenn jemand Dich mobben möchte, dann mobbt er auch, er wird immer etwas zu mobben an Dir finden.
Wie hat sich die Diskriminierung genau geäußert?
Meist fand es in Gruppen statt. Mit so einem „Anführer“, dem die Anderen wie Schafe folgten. Die haben dann halt eher gelacht, aber nicht wirklich von sich aus aktiv gemobbt. Vermutlich hatten sie Angst, dass sie selbst Opfer werden. Irgendwie verständlich: Die waren froh, dass es jemanden gab, der alles abbekam. Ich hatte mich einmal weinend vor die Gruppe gestellt, und gefragt, was sie für ein Problem mit mir haben – es kam keine Antwort.
Ist die Gruppe nur als Mitläufer aufgetreten und hat Dir verbal Sachen an den Kopf geworfen?
Ich bin verbal angegangen worden. Aber am stärksten war das hintenrum: Immer diese ständigen Lästereien. Wie wenn ich das nicht mitbekommen würde… . Hatte aber auch schon Kaugummi im Haar, eine Stiftspitze im Rücken oder mir wurde der Stuhl weg gezogen. Einmal bekam ich auch eine ganz böse Zeichnung gezeigt, die mich darstellen sollte, wie mir Fett abgesaugt wird. Ein andermal hat mir einer mein Zeugnis am Ende des Schuljahres geklaut und ist drauf herum getrampelt und hat drauf gespuckt. Selten, dass die Gruppe wirklich was gesagt hat.
Also trotz abnehmen haben Dich die Menschen weiter gemobbt, wie haben sie Dich da angegriffen, was gab es für Gründe?
Das war von den Meisten eher so: Hintenrum stark. Also die in der Klasse hatten mich weiter für meine Figur gehänselt – obwohl die normal war.
Kannst Du Dich noch erinnern, was sie gesagt haben?
Nicht direkt, aber ich war für sie nie richtig. Hab mich mit 13 Jahren nicht geschminkt, nicht rasiert und meine Kleidung bzw. das Aussehen war mir nicht wichtig, denn ich hatte andere Interessen. Ab dieser Zeit habe ich angefangen, den Anderen gefallen zu wollen und habe begonnen, mich selbst zu untergraben.
Haben Dich eher die Jungs oder die Mädels verbal beleidigt oder lässt es sich nicht trennen?
Das Erstaunliche: Bis heute waren das vor allem Frauen. Mit Männern hatte und habe ich kaum Probleme. Eine aus meiner Klasse sagte damals: „Die Dünnen kommen nicht drauf klar, dass Du dick UND hübsch bist.“ Das passte ihnen wohl nicht ins vorgegebene (Medien-) Schema – „Nur dünn ist schön“.
Du sagtest, Du hättest angefangen, Anderen gefallen zu wollen, wen meinst Du damit genau, wie hast Du Dich da verhalten?
Ich meinte damit vor allem die Menschen in meinem Umfeld: Freunde, Bekannte, Schulkameraden, Familienmitglieder: Ich versuchte eben, mich anzupassen, damit ich nicht negativ auffalle, um dazu zu gehören: Rasieren, obwohl ich es dämlich fand. Genauso wie das Schminken – das äußerliche Anpassen eben.
Was ist das Schlimmste/wie äußert es sich?
Ständig die Frage, ob jemand etwas an mir nicht gut findet, also wie ich aussehe.
Wie oft passiert Dir so etwas heute noch?
Hintenrum weiß ich es nicht. Vornerum fällt mir nur eine Sache in den letzten Jahren ein. Ansonsten ist es so: Älter werden bringt Vorteile mit sich, sprich: Man geht anderes durchs Leben, arbeitet evtl. an seinem Selbstbewusstsein und man wirkt anders, strahlt das auch aus. Man ist kein „Opfer“ mehr. Aber das von früher steckt immer noch in mir drin. Bevor die Frage kommt, wie sich das äußert: Ich gehe nicht gerne an einer größeren Gruppe vorbei – denke – sie reden negativ über mein Äußeres. Auch Komplimente höre ich zum Teil nicht so gerne. Vielleicht denke ich so unterbewusst, sie würden mich anlügen.
Kennst Du Menschen, die die selbe Erfahrung gemacht haben wie Du, wenn „ja“ wie hilfst Du ihnen?
Ja kenne ich, aber sie sind auch schon meistens älter und kommen damit klar. Meine Tochter bekommt es – weil sie etwas mehr drauf hat – auch ab. „Mama, die Lea hat wieder fett zu mir gesagt, Mama, der sagt, fett zu mir“.
Wer hilft ihr und wie?
Naja ich rede halt mit ihr. Die Lehrer machen da wohl nichts. Ich muss da ins Gespräch. Dabei hab ich bei so einem Krisengespräch schon meinen Standpunkt verdeutlicht. (Da ging es aber um etwas Anderes, um vor allem ein anderes Kind).
Denkst du die Lehrer sind überfordert oder verstehen die Situation/Problematik nicht – sind nicht kompetent genug, um das Problem zu lösen?
Ich denke, ihnen ist es wichtiger, den Schulstoff durch zu bringen. Und sind sich auch nicht bewusst, was es für einen Schaden hinterlassen kann.
Wie war es in deinem Fall, hattest Du/ hatten Deine Eltern damals das selbe Problem?
Meinen Eltern war das wohl ziemlich egal. Zumindest gefühlt. Vor allem mein Vater war der Meinung: Es gehören immer zwei dazu.
Und die Lehrer?
Gekonnt nichts gesehen, ignoriert und aus dem Weg gegangen.
Wie könnte man das Problem des Mobbings ,durch Beleidigung bei Übergewicht, Deiner Meinung nach ändern?
Durch Aufklärung und positive Dinge aufzeigen wie: Dicke sind auch schön, liebenswert, können Erfolg im Beruf, im Privatleben,… haben. Es ändert sich ja momentan auch in der Gesellschaft etwas.
Ich wünsche mir, dass Menschen sich stärker zu ihrem dicken Partner/in bekennen und ihn/sie mit Stolz „vorzeigen“. Kinder sollten von klein an schon sensibilisiert werden: Es gibt alle Typen von Figuren und Menschen sollte man generell nicht deshalb verurteilen.
Eltern und auch schon Erzieher sollten auch gezielt mit Spielen im Kindergarten, mit Bilderbüchern und dann später mit Diskussionsrunden aufklären und zudem auch aufzeigen, dass das nicht nur durch Faulheit kommt. Oft ist Essen ein Ersatz oder ein Schutz. Sehr dicke Menschen sind oft genauso krank wie Magersüchtige. Man sollte nicht vorurteilen ohne hinter das Äußere zu sehen.
Interview vom 11.07.2015 Michael Pinteric (mp)